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Wie das Fixed Mindset die Schule f***t!

New Mindset – New Results

Irgendwo las ich, dass sich Ideen immer im Äther befinden und an vielen Orten der Erde von den Menschen gleichzeitig aufgegriffen werden.

Interessanterweise war es allerdings in den 70er Jahren, als Professor Carol Dweck ihre Forschung im Bereich des Mindset aufgenommen hat, wohl nicht so, denn ihre Erkenntnisse hatten jahrzehntelang weder einen Einfluss auf die Pädagogik in Deutschland, noch hielten sie Einzug in die Schulen.

Dabei zeigte die Forschung in dem Bereich der Entwicklungs- und der Motivationspsychologie unter der Leitung von Dweck an der Stanford University, dass wir Menschen von zwei Mindset-Arten sehr stark in Bezug auf Lernen und Erfolg, aber auch in unserer Persönlichkeitsentwicklung, geprägt werden. In der deutschen Übersetzung ihres Buches „Selbstbild“ aus dem Jahre 2017 werden diese Mindsets als eben jene Selbstbilder bezeichnet.

Dweck unterscheidet ein statistisches, fixes Mindset, das daran glaubt, dass Intelligenz und Talente angeboren sind, es meint: „So bin ich halt!“ von einem Wachstumsdenken, das flexibel und veränderbar ist und Growth Mindset oder auch dynamsiches Selbstbild genannt wird.

Um zu verstehen, wie uns unser Mindset, unsere innere Haltung, Werte sowie Denkweisen sprich unser Weltbild an sich, im Wege stehen kann, sollten wir das FIXED MINDSET näher betrachten.

Fehler und Misserfolge werden in diesem Mindset, das in der Originalausgabe Fixed Mindset genannt wird, als persönliche Niederlagen angesehen. Die Menschen, bei denen das Fixed Mindset gerade vorherrscht, arbeiten oft hart auf ein Ziel hin, aber sie tendieren dazu, wenn es schwierig wird, aufzugeben. Wenn das Fixed Mindset zu Tage tritt, zweifeln die Menschen häufig an sich, vergleichen sich mit anderen und fühlen sich in Konkurrenz. Sie scheuen sich dann, um Hilfe zu fragen und kompensieren ihr Verhalten, in dem sie die Schuld im Außen und bei anderen suchen.

Das ist gerade auch das Schwierige daran, wenn wir in einem Fixed Mindset feststecken. Es diente uns lange Zeit, erfüllte einen Zweck, brachte uns Anerkennung und „Liebe“ von Außen. Weil sich das Fixed Mindset von Herausforderungen und neuen Wegen bedroht fühlt, selektiert es Informationen und schafft unbewusst Situationen, die seine Meinungen und Wertevorstellungen belegen. Es schafft sich also somit „Beweise“ für seine destruktive Gedankenstruktur!

Fixed Mindset

Nun kann man vielleicht schon erahnen, warum es in unserem Schulsystem so schwer ist, Veränderungen voran zu treiben:

Unser Schulsystem war rein Leistungsbezogen und auf Abschlüsse (Erfolge) hin abzielend. Das fördert ein Fixed Mindset!

Wir korrigieren Fehler und zeigen somit die Schwächen und Misserfolge auf.

Wir kategorisieren und teilen Menschen in Schulformen / Kurse ein. 

Wir lernen was richtig und falsch ist, entscheiden über den Stoff durch Curricula und Kommissionen.

Wir selektieren Studierende aufgrund eines Numerus Clausus ohne zu prüfen, ob der Mensch an sich für diesen Bereich geeignet ist.

Wir behandeln die Referendar:innen in gleicher Weise, in dem wir sie überprüfen, beurteilen und bewerten – teilweise in eine Schiene, einen Rahmen pressen wollen.

Häufig hört man im Bezug auf Schule: „Das haben wir schon immer so gemacht!“ oder „Das sind die Schüler:innen von heute!“ sowie „Das System ist total veraltet! Kein Wunder!“. Somit schaffen sich selbst die Menschen, die das System verändern wollen, einen Nährboden für die Denkweise eines Fixed Mindset, weil sie von allen Seiten die Bestätigung dessen erfahren, dass sie selbst sich nicht ändern müssen, ja sogar nicht ändern könnten oder irgendetwas bewegen, denn schließlich ist es ja das SYSTEM.

Warum ist es so schwer, in diesem System Schule oder zumindest im Unterricht und der pädagogischen Haltung von Lehrer:innen etwas zu ändern?

Was die meisten Menschen nicht wissen ist, dass Menschen mit einem starken Fixed Mindset häufig gute und sehr gute Schüler:innen sind. Sie ziehen ihre Bestätigung, ihre ganze Existenz daraus, gefallen zu wollen und geliebt zu werden (auf das Thema: Familie & Growth Mindset kommen wir in dieser Artikelreihe noch zu sprechen). Es sind die Schüler:innen mit der guten Mitarbeit, der tollen Heftführung, die für Texts und Klassenarbeiten tagelang lernen. Am Anfang fällt es leicht, hier mit guten Noten die Bedürfnisse aller zu befriedigen. 

Wenn diese Schüler:innen Glück haben, kommen sie mit dieser einzigen Strategie Fleiß bis zum Abitur. Dann studieren sie gerne ihre Lieblingsfächer, vielleicht sogar auf Lehramt und ziehen hier ihren erfolgreichen Weg ohne zu große Hindernisse durch – es ist immer noch alles „bekanntes“ Schulterrain sozusagen. Auch im Referendariat geht es wieder ums Abliefern und Noten. Sollte das Feedback zu hart sein, ist es der / die Fachleiterin Schuld oder die Welt bricht zum ersten Mal zusammen: Denn Kritik, selbst wenn sie konstruktiv ist, wird von einem Fixed Mindset sehr persönlich genommen. Hier zeigt sich vielleicht die erste Krise, denn von angehenden Leher:innen wird mehr verlangt, als „nur“ Leistung auf Papier – eine Lehrkraft-Persönlichkeit muss wachsen und nun brauchen die Referendar:innen neue Strategien, sind gefordert ins Wachstumsdenken einzutauchen, ein Growth Mindset zu entwickeln und diese Krise für sie zu überwinden.

Dies passiert aber häufig unbewusst, weil teilweise keine Kenntnisse über die Theorie des Growth Mindsets vorherrschen und sie selten bis nie in der Lehrerausbildung thematisiert wurde.

Letzten Endes sind diese jungen Lehrer:innen nun schon circa 25 – 30 Jahre durch ein Fixed Mindset geprägt worden und ihr eigenes, inneres System sorgt dafür, dass sie hier gut eingerichtet sind und ihre neuen Erfahrungen automatisch dieses System auch schützen. Deshalb sieht man oft neue, engagierte Lehrer:innen, die dann sehr hart urteilen, beurteilen, in die Falle des Lobes tappen und nicht auf Lernprozesse sondern auf Lernergebnisse fokussiert sind. Sie wundern sich, dass ihre „tollen“ Methoden und vielfältigen Materialien, der unendliche Einsatz trotzdem nicht bei der Schülerschaft ankommt oder sie fühlen sich aufgrund aller Aufgaben sehr schnell im Hamsterrad oder in der Überforderung. Was viele von uns Lehrer:innen auch nach vielen Berufsjahren in die Verbitterung oder sogar ein Burnout treibt, ist ein lebenslanges, vorherrschendes Fixed Mindset – dessen innerer Kritiker und so lange antreibt, bis nichts mehr geht.

Wieder kommt das Fixed Mindset hier mit der Keule: „Ich bin nicht gut genug!“, „Ich muss noch mehr machen!“, „Das ist nicht der richtige Beruf für mich!“, „Ich liebe unterrichten, aber dieses System macht es mir unmöglich!“, „Kein Wunder, dieser Schüler ist einfach IMMER …!“, „Mit DIESER Klasse kommt niemand klar!“, „Typisch, im Elternhaus passiert ja eh nix!“ und so weiter.

Das Fixed Mindset stützt also immer sich selbst!

Dweck hat auch in diesem Zusammenhang beschrieben, dass es ein Pseudo-Growth Mindset gibt, denn Eltern, Coaches und Lehrer:innen lesen dann einige Aspekte eines Growth Mindset und nutzen dann diese, um ihr eigenes Fixed Mindset zu stützen: „Kein Wunder, dass du dich nicht anstrengst, denn du hast ja ganz offensichtlich ein Fixed Mindset!“, wird dann genutzt, um Schüler:innen abzustempeln oder zu kategorisieren. Auch wenn wunderbar konzipiertes Unterrichtsmaterial oder Pflanzen-Symbole zur Bewertung eingesetzt werden, bleibt es unter Umständen nur eine schöne Idee, die Schüler:innen motiviert, aber nicht zum dauerhaften Wachstum des Denkens, des Growth Mindsets führt.

Die Entwicklung eines Growth Mindset ist eine Persönlichkeitsentwicklung, die wir natürlich auf vielfältige Weise anstoßen und unterstützen können. Hierzu brauchen wir erst einmal tiefe, ehrliche Kenntnisse über unser eigenes Mindset. Carol Dweck hat in ihren Studien Lehrer:innen befragt und alle meinten von sich, sie hätten ein Growth Mindset. Dabei hat per se niemand von uns nur ein Growth Mindset, es gibt immer Situationen und Bereiche, wo wir unterschiedlich aktive Mindsets haben. Und man entwickelt schließlich immer, fortwährend sein Growth Mindset, denn das liegt in seinem Ursprung des WACHSTUMS. Es gibt hier kein Ende, kein Ziel sondern wir tauchen in einen lebenslangen Lernprozess ein!

Zuerst einmal dürfen wir dies als Lehrkräfte verinnerlichen und täglich daran selbst arbeiten, in dem wir reflektieren und immer wieder Strategien prüfen, unser Wissen erweitern und offen sind für Veränderungen im Innern und Außen.

Dann können wir es unseren Schüler:innen vorleben:

  • Wie gehen wir selbst mit eigenen Fehlern um und Niederlagen im persönlichen und professionellen Bereich. Können wir darüber reden?
  • Sind wir bereit uns Hilfe zu holen und mit Kolleg:innen und Fachleuten zusammenzuarbeiten?
  • Wie nutzen wir Kritik und Feedback vor allem auch von unseren Schüler:innen? Nehmen wir deren Lernverhalten persönlich?
  • Wie ist unsere eigene Vita? Gab es vielleicht Umwege in den Lehrberuf? Was können wir unseren Schüler:innen durch das Teilen unserer Lebenserfahrung mit auf den eigenen Weg geben in dem wir unseren Prozess beschreiben?
  • Sind wir bereit, Neues zu lernen? 
  • Suchen wir bewusst nach Informationen, die uns weiterhelfen und sind wir dabei auch wirklich ehrlich zu uns selbst? (Reflexion)

Das sind nur einige wichtige Punkte, die das Growth Mindset einer Lehrkraft zeigen und dann kann ich dies auch in mein Classroom Management einbauen durch:

  • Mut-Mach-Karten
  • Affirmationsposter
  • Formulierungshilfen für Lob (Lob des Lernprozesses, der Anstrengung)
  • Helfer / Experten-System
  • Alternative Bewertungsformen (Pflanzensymbole, Lupe -> Sonne, Kreisdiagramme zur Visualisierung von Kompetenzen)
  • Erstellung von individuellen Lernplänen mit Auswertung & Reflexion
  • „Echte“ Lernentwicklungsgespräche
  • Audio-Feedback
  • Rituale: „Das habe ich heute gelernt / Das kann ich noch nicht, werde ich aber … angehen.“

Ein weiterer Schritt ist es, das Lernen lernen in den Mittelpunkt in allen Fachbereichen zu stellen. Die Schüler:innen lernen vielfältige Strategien kennen, wie sie den Anforderungen gerecht werden, Lernziele erreichen können. Die Lehrkraft ist Lernbegleiter/in des Lernprozesses und gibt Hilfestellung bei der Reflexion, wie gut der Lernweg funktioniert, wo etwas anders laufen könnte und stellt die Methoden / Strategien bereit. Sie lehrt also im Sinne Montessoris, wie die Schüler:innen es selbst lernen können. Das fordert natürlich die Schulentwicklungsteams, hier Lernraum anders zu gestalten und für den strukturellen Rahmen zu sorgen: FREI-DAY, Lernbüros, Freiarbeitszeiten, Logbücher (Lerntagebücher), Tandem-Teaching …

Wachstumsdenken ~ Growth Mindset

Diese Art des Unterrichts braucht große Flexibilität, ein starkes Growth Mindset auf Seiten aller Schulakteure!

Die Samen für ein Growth Mindset könnten wir schon viel früher säen, im Elternhaus und im Kindergarten. Denn alle Menschen werden mit einem Growth Mindset geboren. Wir werden dann quasi „umprogrammiert“! Das hört sich schlimm an, ist aber durchaus menschlich. Und überhaupt gar kein Problem, denn wir können wieder in das Wachstumsdenken eintauchen. Jederzeit! Jetzt! Gerade!

DENN UNSER MINDSET IST VOLLKOMMEN DYNAMISCH!

Im nächsten Teil dieser Artikelreihe geht es um das Thema „Mindset und Familie“, denn hier können wir in unserer eigenen Familie viel bewegen und das Wissen darüber hilft uns als Pädagog:innen auch in der Elternarbeit.

Herzlichst,

Kirsten Brandt

Literatur: Carol Dweck, „Selbstbild“: Wie unser Denken Erfolge oder Niederlagen bewirkt | Mit Growth Mindset zu mehr Selbstbewusstsein – aktualisierte, deutsche Ausgabe, 2017, Piper Verlag

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