Nachdem wir gestern zum ersten Mal ganztägig in der Schule Masken trugen, äußerte ich mich in den sozialen Medien darüber, dass es mir schwer gefallen war und dass manche meiner Schüler und ich Kopfschmerzen, Schwindel und Übelkeit hatten. Auch mein Sohn berichtete mittags, als er von der Schule nach Hause kam davon, dass es ihm so ergangen sei. Außerdem konnte ich mich als Lehrerin kaum noch konzentrieren in der 8./9. Stunde und den meisten Jugendlichen in meiner Klasse ging es ebenso. Ich erzählte einfach von einer Situation, wie wir sie für uns erlebten. Ich wertete nicht, ich hatte keine Haltung für oder gegen Masken, sondern ich teilte mein Erleben! Dafür wurde ich beschimpft, als „Jammerlappen“ bezeichnet und mir wurde geraten, mich nicht als „Opfer“ darzustellen! Diese Kommentare kamen von Lehrerkollegen in einem Forum!
Es macht mich nachdenklich, wenn man seine Wahrnehmung nicht teilen darf und sich für seine Gefühle und allgemeinen Zustände rechtfertigen muss. Aber ich will ganz offen sein mit diesem Thema und heute ausführlich darüber berichten, wie ich in Zeiten von Corona unterrichte.
Wie unterrichte ich in der Zeit von Corona?
Diese Frage habe ich mir heute bei einem Spaziergang mitten in der Natur auch gestellt. Nachdem ich gestern bis nach der 9. Stunde in der Schule war und mein Akku absolut leer, führte mich mein Weg heute nach einem kurzen Schultag an einen Weiher in der Umgebung.

(Itzeplitzer Weiher)
Ich wollte Schritt für Schritt die Gedanken und Emotionen loslassen, den Nebel über der Wasseroberfläche ziehen sehen und die ersten durchblitzenden Sonnenstrahlen genießen. Es ist eine Weile her, dass ich diesen Weg direkt nach der Schule gehe. Vor einigen Wochen gehörte das zu meinem festen Ritual, um meinen Kopf frei zu bekommen, bevor ich nach Hause in meinen Familientag als alleinerziehende Mutter startete. Während den beiden Quarantänen meiner Kinder, gerieten meine Rituale allerdings etwas durcheinander und ich merke nun seit einigen Tagen, dass ich hier wieder bewusst hineinspüren möchte um meine Ressourcen wieder aufzufüllen.
Rituale & Ressourcen im Unterricht
Und genau das ist es, worauf ich in der Schule in meinem Unterricht vermehrt achte: Rituale pflegen und Ressourcen aufbauen und stärken! Ich unterrichte Englisch in der Sekundarstufe 1, aber ich bin in den Klassen auch gleichzeitig stellvertretende Klassenlehrerin und auch in den Essens- und Lernzeiten, sowie in der langen Mittagspause (Freizeitstunde) eingeteilt. Wir sind eine Ganztagesschule und verbringen viel Zeit zusammen. Deshalb gehört es zu unserem Miteinander dazu, gut zu kommunizieren und somit am Leben des anderen Teil zu haben.
Kommunikation – „Ich sehe dich!“
Jeden Tag, wenn wir zum ersten Mal zusammen kommen, sprechen wir darüber, wie es uns geht. Wir reflektieren wenige Minuten über unsere Stimmung, die Gefühle, die da sind und darüber, wie es und heute, gerade, jetzt in der Schule geht. Wir sprechen darüber, dass alles sein darf und wir auch Zweifel, Ängste und schlechte Laune ihren Raum geben dürfen. Allerdings so, dass wir niemanden damit verletzen. Wir reden darüber, was uns gerade gut tun und wie wir uns selbst und anderen in dieser Krise etwas Gutes tun können. Manchmal reicht uns ein Stimmungsbild, das wir mit Daumen hoch und runter abgeben, ein anders Mal brauchen wir mehrere Minuten und tauchen tiefer in unsere Bedürfnisse ein. In der Klasse gibt es eine Art „Kummerkasten“, darin sammeln wir anonyme Zettel, auf denen die Schüler:innen teilen, was sie offen vielleicht nicht sagen wollen. Darin sammeln wir aber auch Glücksmomente, die wir am Ende der Woche miteinander teilen wollen.
Gestern war das Thema natürlich, wie wir uns mit den Masken fühlen und ich finde es wichtig, dass jeder seine Meinung dazu sagen und seine Emotionen dazu äußern darf. Alle halten sich an die Regeln und wir finden es wichtig, dies aus Solidarität zu tun! Unser Gespräch schloss auch andere Berufsgruppen und Personen mit ein, die immer eine Maske tragen müssen. Dabei zeigten sich die Schüler:innen sehr emphatisch und viele zeugten ihren Respekt. Vor allem, weil natürlich einige Eltern der Klasse in diesen Berufen arbeiten. Zum Beispiel gab es dann auch einen Austausch untereinander, in dem jemand fragte, wie es denn für die eine Mutter sei, die auf einer Intensivstation in der Krankenpflege arbeite.
In diesen Gesprächen geht es also nicht ums „Jammern“ oder „Opfer spielen“, sondern darum, seine Bedürfnisse wahrzunehmen, sich in seiner Situation gesehen und gehalten zu fühlen. Denn für jeden Einzelnen ist es anders! Eine gute Kommunikation auf Augenhöhe baut Verständnis füreinander auf. Eine Schule ist ein Ort, an dem jeder Mensch Raum bekommen sollte, authentisch sein Selbst zu leben. Und das Interessante daran ist, dass wir nach diesen wenigen Minuten am Stundenbeginn, später während den anderen Unterrichtsphasen entspannter miteinander lernen können. Denn ein Teil des Druckes ist von den Schultern des Einzelnen genommen! Es tut gut zu wissen, man ist nicht alleine mit dem, was einen belastet und man wird „gesehen“.
Bewusste Pausen
In den ersten Tagen hat uns der Lüftungs-Rhythmus teilweise irritiert und immer wieder abgelenkt. Dem Einen war es zu kalt, dem Anderen dann danach zu warm … Es gab viel Murren und Beschweren! Nun, es brauchte seine Zeit und jetzt läuft es automatisch. Wir nutzen die Lüftungs-Phase jetzt zur bewussten Atempause. In dieser Zeit dürfen die Kinder ihre Masken ablegen und wir strecken uns erst einmal. Dann atmen wir tiefe Atemzüge und spüren dem Atem in unserm Körper nach. In der Zeit darf auch getrunken werden und ich nutze das dann selbst gerne, denn ich habe immer warmen Tee dabei, der dann schon auf mich wartet. Viele Kinder sind meinem Beispiel gefolgt und es duftet nach verschiednen Teesorten. Wir konzentrieren uns einige Atemzüge auf unsere Sinne. Nach 5 Minuten geht es weiter im Unterricht und diese kleine „Atempause“ tut uns allen gut.

Ich mache zur Zeit auch gerne Aufsicht draußen. Und wenn ich nicht eingeteilt bin, dann genieße ich meine Pause warm eingepackt mit Tee oder Kaffee in der Hand auf dem Schulhof und atme hier durch.
Kraft in der Natur tanken
Wir haben eine lange Mittagspause nach dem Essen. In dieser „Freizeitstunde“ machen wir Angebote für unsere Schüler:innen und haben natürlich Aufsichtspflicht. Meine Klassen wissen, schon, dass es mit mir immer ab in den Wald geht. Bei jedem Wetter übrigens, außer bei strömendem Regen oder Sturm!

Gerade jetzt finde ich das wichtiger denn je! Die gleichförmige Bewegung des Laufens, die Gespräche, die dabei entstehen, lassen Raum für Unbeschwertheit. Hier können wir wahrlich loslassen, auftanken und für einen Moment alles Belastende und Schwere vergessen. Bei diesen Spaziergängen wird immer viel gelacht, machmal Musik gehört und gesungen, das ein oder andere Mal sogar ein Spiel gespielt. All´ das kommt von den Jugendlichen selbst und ich genieße meine Zeit draußen im Wald mit ihnen. Manchmal lässt sich jemand etwas zurück fallen, um mit mir über persönliche Themen zu reden. Ich erfahre viel über meine Schüler:innen und bekomme somit ein breiteres Bild über die Person. Dafür bin ich sehr dankbar, denn es hilft mir, in schwierigen Unterrichtssituationen später, mich an den Kern des Menschen zu erinnern und die Ganzheit der Person vor mir zu sehen und nicht gerade nur das Problem oder die Störung.
Nicht jeder hat vielleicht einen Wald vor der Schultür! Aber mit Sicherheit findet ihr auch einen Weg, wie ihr die Momente bewusst und unbeschwert gemeinsam genießen könnt. Die Möglichkeiten sind so vielfältig wie eure eigene Gruppe oder Klasse!
Stärke aus der Krise ziehen
Meine Klassen und ich haben in der letzen Zeit das Gefühl, dass wir menschlich mehr zusammen wachsen. Einfach weil wir zusammen in einem Boot sitzen und gemeinsam das Beste aus jeder Situation machen! Wir tauschen uns aus, sind füreinander da und alle Gefühle sind willkommen. Wir geben uns Halt durch Rituale und füllen unsere Ressourcen auf, in dem wir Wahrnehmungs- und Atemübungen machen, Glücksmomente sammeln und die freie Zeit im Wald genießen. Ich vermittle im Moment weniger Stoff als sonst, aber es kommt mir nachhaltiger vor.
Ich sorge für mich.
Wir sorgen füreinander.
Trotz oder gerade wegen einer sorgenvollen Zeit!
Herzliche Grüße, Kirsten Kirsch
Ein Gedanke zu „Unterricht in der Zeit von Corona“